Werbung als kultureller und wirtschaftlicher Faktor

von Bernd M. Michael

ein Bericht von Petra Schäfer (Handelsblatt)

Der größte Feind des Geizes

Der französische Dichter Molière ist in diesen Tagen sein ständiger Begleiter. Bernd Michael zieht das gelbe,
schon etwas abgegriffene Reclam-Heftchen "Der Geizige" aus seiner Aktentasche und blättert in dem Drama.
"Geizige Menschen sind armselig", fasst er das Werk zusammen und seufzt tief.

Als müsse er großes Unheil verhindern, nutzt der Chef der zweitgrößten deutschen Werbegruppe Grey derzeit
jede Gelegenheit, um der Geiz-Welle in der Werbung den Garaus zu machen. Diskussionsrunden und Neujahresempfänge in Unternehmen dienen dem bekanntesten Markenexperten im Lande in erster Linie, um vor
dem "permanenten Trommelfeuer der Geiz-Kultur" zu warnen.

Der nächste Einsatz wartet bereits am Abend: Auf einer Podiumsdiskussion in Frankfurt wird den aktuellen Slogan
"Geiz ist geil" des Elektronikhändlers Saturn verdammen.
"Es ist das Eigentor des Jahres, die Verbraucher zum sparen zu animieren", wird er sagen.

Schon am Morgen in seinem Düsseldorfer Büro bekundet er seine Ablehnung: Die Kampagne sei "gefährlich".
Wer in Werbung und Industrie wolle den schon, "dass die Leute kein Geld mehr ausgeben"?, schimpf der
Markenbotschafter. Er regt sich angesichts der rollenden "Geiz-Welle" über die "selbstzerstörerische Kreativität"
in der Werbebranche so auf, dass er keine Schluck seines Tee trinkt, der vor ihm auf dem Glastisch langsam kalt wird.

Natürlich hätte auch er sich einen Werbeauftrag von Saturn nicht entgehen lassen, wie ihn die Hamburger Agentur Jung von Matt erhalten hat. Doch "Geiz is geil" wäre bei ihm wohl nicht durchgegangen, meint er.
Ohnehin gilt Mr. Grey, der seit 1962 in der Werbebranche arbeitet und seit 1972 der Agentur zu europäischer Größe verholfen hat, bei der Konkurrenz eher als solider Handwerker denn als kreativ experimentierfreudig.
Manche Werbefachleute kritisieren seinen "erhobenen Zeigefinger", mit dem er gerne Entwicklungen in der
Wirtschaft kommentiert. Aber alle hören hin, wenn Michael trommelt.

"Die Werbung sollte kein Turbo-Verstärker aus dem herrschenden Preiskampf machen" tönt er.
Der Handel werde bald kein Geld mehr verdienen, orakelt Michael, den die Kunden würden das Vertrauen in Marken verlieren. Also könnten die Handelskonzerne von den Herstellern immer niedrigere Preise erpressen.
Für Marketing und Werbung bleibe dann kaum noch Geld übrig. Dennoch stilisierten Zeitschriften und TV-Sender
das Thema "billig" zum Kult- "dabei sind sie alle von der Werbung abhängig".

Michael selbst ist ganz und gar nicht geizig. Eine Stereoanlage des skandinavischen Luxusherstellers
Bang & Olufsen schmückt sein Besprechungszimmer - nicht für preisbewusste Käufer. Außerdem liebt er es, in
seiner Freizeit die Städte Europas zu bereisen. Zusätzlich hat der 57-jährige seiner Familie den Konsum verordnet: Aldi-Waren und Handelsmarken kommen dem Werbeexperten nicht ins Haus. Eingekauft werden nur Markenprodukte, auch wenn sie teurer sind.

Kein Wunder. Michael der passend zu den Grey-Firmenfarben rote Brille und rote Krawatte trägt, versteht sich
als Anwalt der Markenindustrie - schliesslich lebt er von den Marketing-Ausgaben großer Konsumgüter-Hersteller
wie Procter & Gamble. Der US-Produzent für alles zwischen Windeln und Kartoffelchips ist neben AOL und Eon
einer der wichtigsten Kunden der Agentur.

Auch Grey merkt, dass die Umsätze und die Werbeausgaben der Markenhersteller unter Druck geraten:
im vergangenen Geschäftsjahr schaffte die Agentur, zu der auch die Medienagentur Mediacom gehört,
erstmals seit Jahren nur ein Null-Wachstum bei einem Honorarumsatz in Deutschland von 150 Millionen Euro.
Ein Grund von vielen: Billig-Anbieter setzen den Marken-Herstellern im Handel gerade im mittleren Preisbereich mächtig zu.

In München aufgewachsen ("Ich bin ein Gastarbeiter in Düsseldorf"), ist der gebürtige Dresdner Michael kein Typ,
der resigniert. Mit einer von seinen Mitarbeitern vielfach erlittenen Ungeduld fordert er, alle Werber müssen
"phantasievolle und intelligente Anreize zum Kaufen" schaffen. Er ist dabei, für seinen Anti-Geiz-Feldzug Verbündete
in Industrie, Handel und in den Medienkonzernen zu gewinnen.
"Wir müssen allen bewusst machen, wie gefährlich der psychologische Effekt eines anhaltenden Preiskampfes ist."

Trost und damit Honorarumsätze beschert Michael ein von ihm ausgemachter gegenläufiger Trend zum Billig-Boom: "Der Luxusmarkt wird ein absoluter Gewinner", ist der Mann überzeugt, der die Werbung für ein Luxus-Modell des Handy-Herstellers Nokia entwirft.
"Was nichts kostet, ist nichts wert", sagt Michael kämpferisch und lehnt sich zurück.

Nur: An das Sprichwort wird sich im heute beginnenden Winter-Schlussverkauf kaum jemand halten. 

VITA
Er wird 1945 in Dresden geboren.
Früh kommt er mit seiner Familie nach München, wo er aufwächst,
eine kaufmännische Lehre absolviert und an der Akademie für Werbung ausgebildet wird. 1963 beginnt er seine Karriere als Markenberater und arbeitet bereits im Auftrag des Konsum-Güter Konzerns Procter & Gamble. 1966 wechselt er nach Düsseldorf zu Werbe Gramm. Die Agentur wird später teilweise vom US Werbekonzern Grey aufgekauft. Michael wird Geschäftsführer der Marketing-Beratung Grey und anschließend Chief Operating Officer, bevor er 1982 Anteile der Agenturgruppe erwirbt.
Er baut Grey zu einer Marketing-Service Gruppe in Mitteleuropa aus.
Am 1. Juli 2000 wird er zum Chief Operating Officer und Chairman der Grey Global Group Europe, Middle East und Africa berufen.

In zwei Jahren will er sich aus den Geschäft zurückziehen 
- seine Nachfolge ist offen.